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Diesmal geht's nicht um Geschwindigkeit

Traditionell, aber doch modern: Der Architekturweg im Bregenzerwald

von Anna Müller


»Wie weit noch?« Eine Fernwanderung auf dem Architekturweg im Bregenzer Wald als Drei-Generationen-Projekt: 48 Kilometer, einige Tränen, viele Gummibärchen und zur Belohnung ein goldener See. Fazit: Ein mehrtätiger Trip ins benachbarte Vorarlberg, nur wenige Kilometer entfernt vom Bodensee, ist auf jeden Fall lohnenswert.

 

Tourismusverband schnürt ganz besonderes Wanderpaket
Ganz besonders zu erwandern ist der Architekturweg im Bregenzer Wald. Dort findet man sie noch, die traditionelle Schindelarchitektur.

Man hört nur das feine Geröll leise unter den Bergstiefeln knirschen, den Wind durch den schütteren Wald rauschen und fernes Kuhglockengebimmel. Die Gedanken kommen zur Ruhe, während man dem jahrtausendealten Klang der Berge lauscht, die Lungen mit der kalten, würzigen Luft füllt, die sanfte Wärme der Sonne auf der Haut genießt. Dann zerreißt ein gellender Schrei die Stille: »Maaamaaa!!!! Wann sind wir endlich daaaa-haaaa? Maaamaaa, warte!«
Ein Fernwanderweg ist an sich schon ein ambitioniertes Projekt, noch größer ist die Herausforderung in einer besonderen Team-Konstellation: Mutter, Großmutter und Töchterlein, gerade vier Jahre alt, machen sich  auf den Weg und überwinden in vier Tagen die moderaten 770 Höhenmeter Auf- und 980 Höhenmeter Abstieg sowie 48 Kilometer Gesamtstrecke zwischen Dornbirn und Au im Bregenzer Wald.
Die Rahmenbedingungen beim Architekturweg sind ideal für das Drei-Generationen-Projekt: Das vom Tourismusverband angebotene Wanderpaket beinhaltet Gepäcktransport, vorgebuchte Übernachtungen und Kartenmaterial für die fünf Tagesetappen auf bequemen, vorbildlich beschilderten Wegen und den Rücktransfer zum Startpunkt. Ein gut ausgebautes öffentliches Nahverkehrsnetz macht das Abenteuer überschaubar.  Überall gibt es etwas zu entdecken, wofür es sich auf kleinen Füßen wacker zu marschieren lohnt: Da sind Bäche zum Stochern, ein schön angelegter Wasserspielplatz am Stausee von Unterbezegg, ein Adler am Himmel, der durchs Fernglas bestaunt wird. Es geht quer durch Zauberwälder, in denen man Beeren naschen und Dachsbauten untersuchen kann. Andernorts wachsen gigantische Felswände aus dem Grün der Almwiesen, auf denen Bauern per Hand Heu wenden.

 

Die Schindelarchitektur der Region ist unverkennbar
Das Besondere des Fernwanderwegs ist jedoch, wie der Name andeutet, die Schindelarchitektur der Region.
Der Architekturweg beschreibt abenteuerliche Kurven, um durch möglichst viele Siedlungen und Weiler zu führen, wo sich uralte Schindelgehöfte mit modernen Bauten, deren Fensterfronten mit auf alt getrimmten Holzschindeln kombiniert werden, abwechseln. »Wir achten hier sehr darauf, dass Neubauten sich dem regionalen Stil anpassen«, sagt Cornelia Kriegner vom Tourismusverband.
Informationssäulen sind im ganzen Ort verteilt, die auf Knopfdruck Wissenswertes über die Geschichte und Architektur der Gebäude und deren Bewohner preisgeben. »Sie sind absichtlich ein bisschen versteckt, denn wir wollen die Leute dazu anhalten, aufmerksam zu gehen«, berichtet Kriegner. »Es geht auf dem Architekturweg nicht um Geschwindigkeit, sondern um das Erleben.«
Für die dreiköpfige Wandertruppe ist Geschwindigkeit jedoch  ein wichtiger Faktor: Erhöht wird das mitunter rekordverdächtig langsame Gehtempo wahlweise durch Gummibärchengaben, durch »Wer sieht das nächste Wegzeichen?« und andere Motivationsspielchen.


Im Hightech-Stall gibt es Wohlfühlzonen und elektrische Kratzbürsten
»Naturhautnah« heißt der Bauernhof von Ingo Metzler in Egg bei Schwarzenberg, der das Klischee eines alpenländischen Bilderbuchbauernhofs kaum erfüllt. Es sieht eher wie auf einer Expo-Ausstellung aus: Aparte Holz- und Glasarchitektur umgibt eine hochmoderne Käserei. Im mehrstöckigen Hightech-Ziegenstall gibt es Wohlfühlzonen und elektrische Kratzbürsten für das noble Vieh.
Die Hundertschaft an Ziegen liefert schließlich die Rohstoffe für die teuren Kosmetikprodukte, die in dem kleinen, todschicken Manufaktur-Bungalow hergestellt und mit denen namhafte Marken beliefert werden. Hase und Huhn leben hier nicht in einem Stall, sondern in einer »Kleintier-Kuschelzone«.
»Vor gut 20 Jahren hat sich die »Käsestraße Bregenzerwald« gegründet, erklärt Ingo Metzler, der nahezu täglich Besucher über seinen Hof führt und kaum einen Satz zu Ende bringt, ohne eine witzige Wendung zu platzieren. 200 Betriebe haben sich zusammengetan, um die 60 Käsesorten der Talschaft zu vermarkten. Nach fast zwei Stunden gehaltvoller Führung interessiert man sich schließlich mehr als für die Käseproduktion für die Käse-Verkostung, für Buttermilch in exotischen Geschmacksrichtungen und das frisch gebackene Brot.
Mit aufgefüllten Energiereserven geht es an die letzten Kilometer. Doch die Natur zeigt sich als Gegenspieler: Schiefergraue Wolken rasen vom Wind getrieben und elektrische Ladung lässt die Luft sirren.  Der bequeme Weg zur nächsten Siedlung verwandelt sich in eine schlammige Rutschbahn.  Schönwetterwandern – das kann jeder.

Weitere Informationen:
www.bregenzerwald.at

 

Fotos: (c) Anna Müller/Metzler Naturhautnah/Christoph Lingg, Bregenzerwald Tourimus/Albrecht Imanuel Schnabel, Vorarlberg Tourismus