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Kunst als Zeichen friedlicher Revolte

Graffiti- und Street Art-Ausstellung in Balingen

von Gert Ungureanu

 

Graffiti sagt viel aus über die Gesellschaft, die es hervorbringt. Zwei Größen der Szene – WON ABC und Cowboy 69 – erzählen in der alten Schwelhalle in Balingen-Frommern (Zollernalbkreis) anhand von verschiedenen Werken die Geschichte dieser Straßenkunst, die der Revolte der 1980er-Jahre entstammt.

 

Er habe in Balingen »mal was anderes« zeigen wollen, sagt Veranstalter Frank Türke. Die Idee für die Urban-Art-Ausstellung stamme aus der Video-Dokumentation eines Bekannten – die Lebensgeschichte der beiden Sprayer-Legenden aus München, die seinerzeit Graffiti in Deutschland und Europa bekannt gemacht hatten. Wogegen haben sie damals protestiert? Wogegen wird heute protestiert? Kunst ist eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen. Und: Street Art ist in Athen anders als in Paris oder Berlin.

Kunstkurator Roman Passarge knüpfte Kontakte zu Markus Müller alias WON ABC. Die Ausstellung wurde geplant. Jetzt ist sie da: Bis 8. September sind die Graffiti-Arbeiten täglich von 10 bis 22 Uhr zu sehen. Dazu gibt es Live-Performances, Workshops und Gesprächsrunden rund ums Thema Kunst und Revolte.
Graffiti, sagt Passarge, setze Kreativität voraus: »Da werden Grenzen überschritten. Das passt gut, denn wir leben in einer Region der ›Hidden Champions‹, und auch das hat unglaublich viel mit Kreativität zu tun.«

 

Markus Müller, Jahrgang 1967, erinnert sich an die Anfänge in der Illegalität: 1984 hatte er in Ottobrunn bei München sein erstes Piece gesprüht – »Fast«. Damals habe er zunächst mit Kreide die Konturen gezeichnet, sagt er. Vier Jahre später, 1988, rief er gemeinsam mit Cowboy 69, mit bürgerlichem Namen Selcuk N., den Art Bombing Clan zusammen, den ABC. Er existiert heute noch.
Die Lebensläufe der beiden Künstler und ehemals besten Freunde gingen stark auseinander: Während Markus von seinen Eltern gefördert wurde, bekam Selcuk regelmäßig Prügel, wenn er vom Sprayen heim kam. Er geriet auf die schiefe Bahn, sitzt und malt derzeit in der Justizvollzugsanstalt in Hof.


In der aktuellen Ausstellung sind beide Künstler vertreten. »Graffiti«, sagt Markus Müller, »ist meistens illegal. Wenn es gut gemacht ist, ist es ein Geschenk an die Gesellschaft.« Im Gegensatz zur Museumskunst komme diese »zu den Leuten hin«. Meditieren und Schweigen vor einem Gemälde – das sei nicht sein Ding, sagt Müller, während er mit Kurator Passarge ein weiteres Kunstwerk auspackt: einen Grabstein aus Styropor, den er für sich selbst entworfen hat. Schließlich sei der Tod ein Thema, mit dem sich jeder auseinandersetzen müsse.


Neben den Arbeiten der beiden Münchner Künstler, die heute längst nicht mehr illegal, sondern sehr gefragt sind, werden auch großflächige Graffiti auf Leinwand gezeigt von Künstlern wie DARCO oder OZ. Diese sind im gläsernen Kubus in der Mitte der Halle zu sehen neben einem Mobile und Geistern aus Fleece. Im Eingangsbereich der »Kathedrale«, wie Müller die Halle nennt, ist WON ABC und Cowboy 69 jeweils ein kleiner Kubus gewidmet, und es wird erklärt, wo Graffiti herkommt. Im hinteren Bereich geht es um Street Art, um Städte und Länder.


Zu jedem Bereich wird ein kleiner Film gezeigt, und die Besucher werden mit Sounds der 1980er-Jahre und Hip-Hop beschallt. Und Markus Müller will während der Ausstellung die Außenwände der Halle mit drei riesigen Graffiti verzieren: Die Entwürfe sind schon fertig. Sie zeigen einen Drachen ähnlich wie den, den er in Amsterdam auf das 1:1-Foto eines Eisenbahnwaggons gesprayt hatte.
»Das ist Kunst«, sagt Kurator Roman Passarge: »Es macht mit uns etwas. Es ist eine Form von Entertainment. Es ist schön, wenn etwas in den Köpfen der Besucher zurückbleibt, das Mut macht zur Kreativität.« Die alte Schwelhalle bietet den perfekten Hintergrund.


Weitere Informationen: www.revolte.art

                                                                                                                                                                                                                                              Fotos: (c) Ungureanu