Zu Besuch im Skinternat in Furtwangen
Claudio Haas ist Skispringer, Charlotte Gallbronner Biathletin. Beide gehen auf das Skiinternat in Furtwangen. Sie gewähren uns einen exklusiven Einblick in ihren Alltag im Internat.
6.30 Uhr
Der Wecker von Claudio Haas klingelt. Bevor er so richtig in den Tag startet, geht der 18-jährige Skispringer erst noch eine Runde Joggen. Dann ein nahrhaftes Haferbrei-Frühstück. Der Tag kann
beginnen.
Charlotte Gallbronner muss sich indes mit lästigeren Angelegenheiten herumschlagen. Sie hat einen Arzttermin in Straubing – die letzte Kontrolluntersuchung ihres schon länger lädierten Knies.
Doch der Meniskusriss, welcher der 16-jährigen Biathletin seit einigen Jahren Probleme bereitet, scheint soweit auskuriert. Gute Neuigkeiten also.
Neben ihrer Liebe zum Wintersport haben die Beiden vor allem eines gemeinsam: Sie besuchen das Skiinternat in Furtwangen (SKIF). Beide waren sie 15 Jahre alt, als sie diesen Karriereschritt
wagten. Für Claudio, der seine Wurzeln in Schonach und dem dortigen Skiclub hat, war es ein – zumindest geografisch – vermeintlich kleinerer. Charlotte (DAV Ulm) musste da schon eine größere
Distanz zwischen sich und ihre Heimat bringen.
9.40 Uhr
Für Claudio steht heute Englisch auf dem Stundenplan. In den Räumlichkeiten des Otto-Hahn-Gymnasiums büffelt er Vokabeln. Eine besondere Regelung ermöglicht es ihm, Charlotte und den anderen
Internats-Athleten, ihr Abitur nach 13 statt zwölf Jahren Schule zu bauen. Für ambitionierte Jugendliche wie sie ist dies die einzige Möglichkeit.
»Eine normale Schullaufbahn im G8-System ist irgendwann einfach nicht mehr parallel zum Leistungssport möglich«,
weiß auch Internatsleiter Niclas Kullmann.
12.30 Uhr
Mittagessen. Es gibt Putengeschnetzeltes mit Spätzle, Gemüse und Salat. Inzwischen ist auch Charlotte wieder in Furtwangen angekommen. Im Speisesaal kommt es zu Gesprächen, wie man sie wohl auch
an jedem beliebigen Nicht-Athleten-Tisch belauschen könnte. Anstehende Klausuren, das aktuelle Lieblingslied, die Netflix-Serie des Vertrauens – solche Dinge eben. Aber spätestens wenn die
Jugendlichen auf ihre Reisepläne für die nächsten Wochen zu sprechen kommen, ist es vorbei mit der Normalität. Für Claudio geht es im Rahmen der Vorbereitung auf die Winterwettkämpfe ins
slowenische Kranj. Charlotte macht sich schon bald auf den Weg in den Süden Norwegens ins Trainingslager.
Für die beiden Talente steht es außer Frage, dass der Schritt ins SKIF der für sie richtige war.
»Irgendwann war das Pensum einfach nicht mehr machbar. Hier am SKIF wird uns sehr viel abgenommen, vor allem schulisch. Und die Trainingsbedingungen sind natürlich auch top«,
meint Claudio. Der 18-jährige Schonacher hatte schon vor seinem Einzug ins Internat knapp ein halbes Jahr lang dort trainiert. Aber auch für Charlotte war das Umfeld kein komplettes Neuland:
»Ich war auch vorher schon öfters mal hier und kannte einige Trainer und Betreuer. Das hatte sich also schon eine Weile angebahnt. Es war definitiv die richtige Entscheidung für
mich.«
14 Uhr
Trainingszeit. Claudio und seine Skisprung-Kollegen steigen mit zwei Sätzen Volleyball ein. Ihnen ist anzusehen, dass sie nicht zum ersten Mal mit einem Sport in Berührung kommen, der nichts mit
Schanzen zu tun hat. Verbissen geht es hin und her. Jeder Ballwechsel ist hart umkämpft, keiner will verlieren. Leistungssportler eben.
Danach dehnen sich die jungen Springer. Und führen dabei Verrenkungen durch, bei denen der
»Otto Normalverbraucher«schon
beim Zusehen vor Schmerzen das Gesicht verzieht. Dann ist es endlich soweit: Es wird gesprungen. Auf kleinen, rollenden Holzgefährten simulieren die Jungs den Anlauf einer Skisprungchance – um
sich wenige Sekunden später dynamisch in die Arme ihres Trainers Rolf Schilli zu katapultieren. Direkt im Anschluss folgt die Videoanalyse.
»Da wird dein Rücken zu kurz. Achte auf die Fußgelenkschließung. Da bist du zu sehr reingefallen.«
Claudio nickt einsichtig – er weiß anscheinend, wovon sein Trainer spricht.
Charlotte ist zeitgleich in einer anderen Halle auf der Anlage im Einsatz. Als Warm-Up wird Fußball gespielt. Danach geht es in den Kraftraum. Schweiß und Tränen werden regelmäßig in dem modern
ausgestatteten, zweistöckigen Raum vergossen, der früher einmal die Kapelle der Anlage war. Die mit bunten Mosaiken geschmückten Fenster sind hier und da noch zu erkennen.
Charlotte kennt sich aus in diesem Raum. Routiniert packt sie Gewichtscheiben auf Stangen und Hanteln – und stemmt diese dann wieder und wieder in alle möglichen Richtungen. Viel lieber wäre sie
natürlich auf der Piste oder am Schießstand. Aber sie weiß, dass man sich auf dem Weg an die Weltspitze eben auch durch solche Einheiten quälen muss. Und genau dort will die 16-Jährige
schließlich hin.
»Ein großes Vorbild habe ich zwar nicht, aber wenn man die Spitzensportler im Fernsehen sieht, denkt man sich schon: ›Das wäre verdammt cool, selber mal dort hinzukommen‹«,
erzählt sie von ihren Träumen. Dabei hat Charlotte Biathlon erst im Alter von zwölf Jahren überhaupt für sich entdeckt. Ihre ersten Versuche waren mit Laser- und Luftgewehren im Sportunterricht.
Nicht einmal ein Jahr später war sie bei ihrem ersten Deutschland-Cup am Start.
Auch Claudio wurde die Liebe zum Skispringen nicht in die Wiege gelegt. Im Alter von acht Jahren absolvierte er seinen ersten Sprung, nachdem ihn Freunde zum Reinschnuppern mitgebracht hatten.
Sofort war er überzeugt – und so begann seine bislang äußerst erfolgreiche Karriere.
17.30 Uhr
Abendessen. Die anstrengenden Trainingseinheiten sind geschafft. Am Abend stehen keine großen Programmpunkte mehr an. Regeneration, auf Klausuren lernen oder auch einfach einmal Entspannen ist
angesagt.
Der Alltag im Internat kann mental wie körperlich aufreibend sein. Die Überzeugung und Disziplin, hier über Jahre hinweg am Ball – beziehungsweise auf den Skiern – zu bleiben, müssen viele der
Jugendlichen erst noch lernen.
»Die meisten kommen im Alter von 14 oder 15 Jahren hier her. Bis dahin mussten sie zwar auch schon viel arbeiten, aber das ist noch kein Vergleich zu diesem Level hier. Das Talent bringt
sie bis hierher – aber Fleiß und Disziplin sind es, die sie dann weiterbringen«,
verrät Niclas Kullmann. Aber natürlich reichen Willen und Leidenschaft allein auch nicht aus. Das Talent und die körperlichen Voraussetzungen müssen gegeben sein. Doch von diesen wenigen Begabten
schafft es eben wiederum nur ein Bruchteil zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.
Claudio Haas und Charlotte Gallbronner träumen davon, irgendwann zu diesem elitären Kreis von Top-Athleten zu gehören. Dafür waren sie bereit, schon in jungen Jahren ihr Zuhause zu verlassen und
sich komplett den Herausforderungen des Skiinternats zu stellen – schulischer wie sportlicher Natur. Und dafür sind sie und ihre Familien bereit, vieles zu opfern.
Dennoch würden sie anderen jungen, talentierten Wintersportlern zu diesem Schritt raten. Charlotte bringt es auf den Punkt:
»Es ist ein großer Schritt und es ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Aber bessere Bedingungen als hier findet man nirgendwo.«
22.30 Uhr
Charlotte geht schlafen. Die Stunden nach dem Abendessen hat sie noch mit Schularbeit verbracht – ein Vortrag in Kunst über die Epoche des Impressionismus. Da muss man eben abends durch, wenn man
den ganzen Nachmittag Training hatte.
23 Uhr
Für Claudio neigt sich der Tag ebenfalls dem Ende zu. Auch er hatte noch einen Vortrag zu erledigen. In Geografie beschäftigt er sich mit dem Austrocknen des Aralsees. Ganz fertig ist er nicht
geworden, aber jetzt geht er schlafen. Es war ein langer Tag. Und morgen früh geht es direkt wieder los. Um 6.30 Uhr klingelt der Wecker – die Jogging-Runde und der Haferbrei warten schon.
Weitere Infos:
Das Skiinternat Furtwangen (SKIF) ist eine Einrichtung der Skiinternat Furtwangen Baden-Württemberg GmbH, an der die Stadt Furtwangen, die Stiftung Olympia Nachwuchs Baden-Württemberg und der
Internationale Bund (IB) beteiligt sind. Im Jahr 1998 erhielt die Einrichtung vom Deutschen Sportbund das Prädikat
»Eliteschule des Sports«.
In Kooperation mit dem Otto-Hahn-Gymnasium und der Robert-Gerwig-Schule erfolgt die sportliche sowie schulische Betreuung der Athleten. Momentan leben 33 Athleten, die Skispringen, Biathlon,
Langlauf und Nordische Kombination ausüben, am Skiinternat.